Mögliche Wege aus dem Gasdilemma

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EU SUCHT NACH LÖSUNGEN

By Karin Silvina Hiebaum / International Journalisitin

Die EU steht vor mehreren großen Hürden beim Thema Gas: Die Abhängigkeit von Russland soll reduziert werden – und das, obwohl die Preise weiterhin extrem hoch sind. Die Speicher müssen noch vor dem Winter gefüllt werden. Während langfristig ein Ausstieg aus dem Gas auf dem Programm steht, werden auch kurzfristig Lösungen gesucht. Ansätze gibt es einige, doch die meisten haben zumindest einen Haken.Online seit heute, 7.07 UhrTeilen

Die hohen Preise für Energie sind freilich nichts Neues, schon vor dem Krieg in der Ukraine war die internationale Nachfrage enorm hoch, und damit auch entsprechend die Preise. Diese lägen etwa auf dem drei- bis vierfachen Niveau von 2018 und 2019, wie Christian Egenhofer vom Brüsseler Thinktank Centre for European Policy Studies (CEPS) im Gespräch mit ORF.at sagt. Durch den Krieg sei diese Phase „nochmal verlängert“ worden, so Egenhofer.

Erst im April gab es ein erstes Treffen der EU-Kommission mit den Mitgliedsstaaten, bei dem es um eine gemeinsame Plattform für den Kauf von Gas, Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) und Wasserstoff ging – ähnlich wie beim Kauf der CoV-Impfstoffe will die EU hier an einem Strang ziehen.

In der zugehörigen Aussendung hieß es, dass man damit die europäische Energieversorgung zu „leistbaren Preisen“ in der derzeitigen Situation sicherstellen und die Abhängigkeit von russischem Gas zurückfahren wolle. Auch Österreich meldete bereits Interesse an.

Keine großen Preissprünge zu erwarten

Die EU will mit diesem Vorhaben also als Einheit auftreten, manche sagen auch: als Kartell – und damit größeres Gewicht in Verhandlungen bringen. Doch ausgerechnet die Aussicht auf „leistbare Preise“, wie es in der EU-Aussendung hieß, teilt der Experte nicht: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ So hohe Gaspreise wie jetzt „gab es noch nie“, damit werde es kurzfristig „schwer, Gas aufzutreiben“. In einem Artikel der Website EU Observer vom März werden ähnliche Zweifel geäußert: Darin wird ein nicht namentlich genannter EU-Diplomat zitiert, der sagt, dass es „kein Wundermittel“ gebe.

Detail der OMV-Erdgasspeicheranlage in Schönkirchen
In der EU könnte künftig der Gaseinkauf gemeinsam koordiniert werden

Dennoch könnte der gemeinsame Kauf einen Zweck erfüllen – nämlich das Auffüllen der Gasspeicher, so Egenhofer. Länder wie Österreich, Deutschland und Italien seien stark abhängig von ausreichenden Gasvorräten. Um das Risiko eines plötzlichen Lieferstopps durch Russland zu minimieren, sei es wichtig, dass genügend Gas gespeichert sei, so Egenhofer.

Wettbewerb zwischen den EU-Ländern verhindern

Ein geeintes Vorgehen könnte Konkurrenz zwischen den Ländern und damit einen weiteren Preisanstieg durch internen Wettbewerb verhindern. Bisher wird der Einkauf privat abgewickelt – wie das künftig ablaufen könnte, ist zwar noch unklar. Das Wettbewerbsrecht könnte jedoch zur Hürde werden, wie etwa „Politico“ schreibt: „Die Tatsache, dass die EU mit einer speziellen Plattform günstige Angebote für private und teilstaatliche Energieunternehmen aushandelt, lässt bei den Kartellbehörden die Alarmglocken schrillen.“

Springt die EU ein und kauft das Gas selbst, um es anschließend zu speichern, spielen auch die Kosten für die Speicherung eine Rolle. Große Gasspeicher gebe es aufgrund der geologischen Voraussetzungen – Gas wird unterirdisch gespeichert – vor allem in Deutschland und einigen weiteren Ländern, so Egenhofer. Auch Österreich spielt bei der Lagerung eine Rolle. Entsprechend müssten jedenfalls die Kosten auch auf die anderen Länder aufgeteilt werden.

Gasspeicher in Oberhausen
Nicht überall kann Öl eingelagert werden, Deutschland – hier etwa Oberhausen – und auch Österreich spielen wichtige Rollen

Denkbar seien auch mehrjährige Deals, so der Energieexperte. So könnte man sich verpflichten, Gas aus anderen Staaten zu beschaffen – und dann beispielsweise ein Jahr einen niedrigeren Preis, neun Jahre dafür aber dann mehr zu zahlen. Das wäre womöglich auch mit politischen Zugeständnissen an nicht unumstrittene Länder verbunden. Eine gemeinsame Plattform dafür hält Egenhofer aber nicht für nötig.

Subvention würde Probleme nicht lösen

Doch was könnte den Preis für Erdgas tatsächlich drücken? Egenhofer sieht hier eine Deckelung als effiziente Möglichkeit, die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken. Gas würde zum gleichen Preis eingekauft werden, Verbraucher würden nur einen Anteil davon zahlen – den Rest könne etwa der Staat stemmen. Denkbar sei das auch nur für einen Teil des Gases, etwa jenem Anteil, der für die Stromversorgung genutzt wird. Dieser betrage laut dem Experten etwa 20 Prozent, so könnten zumindest diese Kosten ausgeglichen werden.

Doch wirkliche Lösung sei auch das keine: Sollten die Endkundenpreise gleich bleiben, würde auch die Nachfrage praktisch unverändert bleiben. „Warum soll ich die Heizung runterschalten, wenn sie nicht mehr kostet?“, so Egenhofer exemplarisch. Die Gaspreise würden noch „zwei, drei, vier Jahre“ so hoch bleiben – für viele Staaten wäre eine Subventionierung über einen so langen Zeitraum wohl schwer zu tragen. Und: Der Lenkungseffekt bliebe in diesem Fall komplett aus.

Reduktion als Weg zur Unabhängigkeit von Moskau

Doch um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, wird es ohne Reduktion des Gasbedarfs nicht gehen. So wird auch auf Anfrage im Klimaschutzministerium darauf verwiesen, dass man sich zwar „in großem Ausmaß am gemeinsamen Gaseinkauf der EU“ beteiligen will, wie Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) Ende April sagte. Gleichzeitig bedeute jede getauschte Gastherme aber mehr Unabhängigkeit von Russland, hieß es weiter.

Nach dem diese Woche beschlossenen EU-Ölembargo solle jedenfalls auch beim Gas der russische Import stark reduziert werden. Noch im Mai solle ein Plan vorgestellt werden, wie man zwei Drittel der russischen Gasimporte bis Jahresende ersetzen könnte, so EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Man sei in Kontakt mit anderen Anbietern, um Alternativen für Lieferungen aus Russland zu finden.

Ausstieg als Antwort auf „politische Waffe“

„Gas ist eine politische Waffe“, so Egenhofer im Gespräch. Das wisse Südosteuropa schon seit jeher, nun gelte das für die gesamte EU. Vorübergehende Einschränkungen, nicht zuletzt für die Industrie, sind der Einschätzung des Experten zufolge wohl unausweichlich. Langfristig ist in den kommenden Jahrzehnten zwar ein Ausstieg aus Gas als Energiequelle geplant, um die Klimaziele zu erreichen. Die jetzige Situation könnte aber zum Anreiz werden, diesen Prozess zu beschleunigen.

Links:


In English

EU SEEKS SOLUTIONS

Possible ways out of the gas dilemma
The EU faces several major hurdles when it comes to gas: reducing dependence on Russia – even though prices remain extremely high. Storage facilities need to be filled before winter. While a long-term phase-out of gas is on the agenda, short-term solutions are also being sought. Approaches exist, but most have at least one catch

Of course, the high prices for energy are nothing new; even before the war in Ukraine, international demand was enormously high, and so were the prices accordingly. These would be about three to four times the level of 2018 and 2019, as Christian Egenhofer from the Brussels-based think tank Centre for European Policy Studies (CEPS) says in an interview with ORF.at. The war has «prolonged this phase yet again,» Egenhofer said.

Only in April, there was a first meeting of the EU Commission with the member states to discuss a common platform for the purchase of gas, liquefied natural gas (LNG) and hydrogen – similar to the purchase of the CoV vaccines, the EU wants to pull together here.

The associated statement said that the aim was to secure European energy supplies at «affordable prices» in the current situation and to reduce dependence on Russian gas. Austria has also already expressed interest.

No big price jumps to be expected
With this project, the EU wants to act as a unit, or some say as a cartel, and thus bring greater weight to the negotiations. But of all things, the expert does not share the prospect of «affordable prices,» as the EU statement said: «I can’t imagine that.» Gas prices as high as they are now «have never been seen before,» making it «difficult to find gas in the short term.» An article published by the EU Observer website in March expresses similar doubts: It quotes an unnamed EU diplomat as saying that there is «no miracle cure.»

Detail of the OMV natural gas storage facility in Schönkirchen.

In the EU, gas purchases could be jointly coordinated in the future
Nevertheless, joint purchasing could serve a purpose – namely, filling up gas storage facilities, Egenhofer said. Countries such as Austria, Germany and Italy are heavily dependent on sufficient gas stocks, he said. To minimize the risk of a sudden supply stop by Russia, it is important to have enough gas stored, Egenhofer said.

Preventing competition between EU countries
A united approach could prevent competition between countries and thus further price increases due to internal competition. So far, purchasing has been handled privately – though how that might work in the future is still unclear. However, competition law could become a hurdle, as «Politico» writes: «The fact that the EU is using a special platform to negotiate favorable offers for private and partly state-owned energy companies is setting off alarm bells among antitrust authorities.»

If the EU jumps in and buys the gas itself to store it afterwards, the cost of storage also plays a role. Due to geological conditions – gas is stored underground – large gas storage facilities exist primarily in Germany and some other countries, Egenhofer said. Austria also plays a role in storage. In any case, the costs would have to be shared among the other countries accordingly.

Gas storage facility in Oberhausen

Oil cannot be stored everywhere; Germany – here, for example, Oberhausen – and Austria also play important roles.
Multi-year deals are also conceivable, the energy expert said. For example, one could commit to procuring gas from other countries – and then, for example, pay a lower price for one year, but then pay more for nine years. This would possibly also involve political concessions to countries that are not without controversy. However, Egenhofer does not believe that a joint platform is necessary.

Subsidies would not solve problems
But what could actually push down the price of natural gas? Egenhofer sees a cap as an efficient way to lower costs for consumers. Gas would be purchased at the same price, and consumers would only pay a share of it – the rest could be paid by the state, for example. This is also conceivable for only a portion of the gas, for example the portion used for power supply. According to the expert, this amounts to about 20 percent, so at least these costs could be offset.

But even that is not a real solution: If end customer prices remain the same, demand would also remain virtually unchanged. «Why should I switch down the heating if it doesn’t cost more?».

Following the EU oil embargo decided this week, Russian gas imports are also to be greatly reduced. According to EU Energy Commissioner Kadri Simson, a plan for replacing two-thirds of Russian gas imports by the end of the year is to be presented in May. She said people are in contact with other suppliers to find alternatives for supplies from Russia.

Workers between two gas pipelines
DEBATE Russian gas: How to reduce dependence?


Exit in response to «political weapon»


«Gas is a political weapon,» Egenhofer said in the interview. Southeastern Europe has always known that, he said, and now it applies to the entire EU. Temporary restrictions, not least for industry, are probably inevitable, according to the expert’s assessment. In the long term, there are plans to phase out gas as an energy source in the coming decades in order to meet climate targets. However, the current situation could become an incentive to accelerate this process.

Links:
EU Commission
Climate Protection Ministry
Announcement on gas purchases
CEPS
EU-Observer article
Politico article