Versicherungen und Geiselverhaendler (German / English)

Nicht nur Kidnapper hoffen auf das große Geschäft mit Entführungen, auch Versicherungen und Geiselverhandler verdienen daran: Speziell in den USA und in Großbritannien herrscht offenbar eine große Nachfrage nach Versicherungen in Entführungsfällen. Damit ist nicht nur die zugesicherte Rückzahlung des Lösegelds gemeint. Und die Auflagen in der geheimen Welt der Geiselverhandler sind sehr streng.

0
586

Das große Geschäft mit Entführungen

Spezialisten und Spezialistinnen übernehmen heute das gesamte Krisenmanagement nach einer Entführung, von der Betreuung der Angehörigen bis zu den Verhandlungen mit den Entführern, von der Einschätzung der richtigen Lösegeldhöhe bis zur Kooperation mit der Polizei, wie es auf der Wissenschaftswebsite The Conversation heißt. Die Entführungsexperten bewegen sich dabei teils in einer Grauzone.

Verschiedene Länder verfolgten unterschiedliche Ansätze im Umgang mit der Entführung ihrer Staatsangehörigen, so der britische „Guardian“. Großbritannien ist zusammen mit den USA seit Langem ein Vertreter des „No Concessions“-Lagers, das sich offiziell weigert, mit Terroristen zu verhandeln, Lösegeld zu zahlen oder andere Zugeständnisse zu machen. Es wird befürchtet, dass das Bezahlen von Lösegeld das Risiko künftiger Entführungen erhöht. Außerdem gelange damit auch Geld in die Hände terroristischer Organisationen, mit denen die laufenden Operationen finanziert werden könnten, so die Begründung.

WEstdeutsche Polizisten bei einer Straßenblockade aufrgund der Entführung des Poloitikers Peter Lorenz
Eine Straßensperre in Westberlin 1975 nach der Entführung des Landesvorsitzenden der Berliner CDU, Peter Lorenz, durch die Terrorgruppe Bewegung 2. Juni

Auf der Suche nach neuen Kunden im Drogenkrieg

Angefangen hat das große Geschäft mit den Entführungsversicherungen 1982, wie der „Guardian“ schreibt. Der britische Versicherungsmakler Doug Milne war auf der Suche nach neuen Kunden, im Idealfall hoffte er auch auf ein neues Geschäftsfeld.

Milne machte sich mit wenig Spanischkenntnissen und nur zwei Ansprechpartnern in die kolumbianische Hauptstadt Bogota auf und wurde Augenzeuge des beginnenden äußerst blutigen Drogenkriegs zwischen den Kartellen untereinander sowie mit der kolumbianischen Polizei bzw. auch der Armee. Entführungen waren in der teilweise fast kriegerisch geführten Auseinandersetzung mehr oder weniger an der Tagesordnung.

Autoconvoi mit den befreuten Geiseln Paul und Rachel Chandler in Somalia 2010
Ein Konvoi bringt 2010 die nach mehr als einem Jahr von somalischen Piraten wieder freigelassenen Geiseln Paul und Rachel Chandler zum Flughafen

Erste Ideen nach Lindbergh-Entführung

Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt bereits Versicherungen gegen Entführungen, doch waren sie so gut wie unbekannt. Die erste Entführungs- und Lösegeldversicherungspolizze wurden 1932 ausgestellt, wie die „New York Review of Books“ schreibt. Sie wurde in der Folge der aufsehenerregenden und die Weltpresse monatelang in Atem haltenden Lindbergh-Entführung „erfunden“.

Anne Morrow Lindbergh mit Sohn Charles Augustus Lindbergh, Jr. 1931
Der Sohn des Piloten Charles Lindbergh wird in seinem Kinderwagen herumgefahren

Der Pilot Charles Lindbergh hatte mit dem ersten Nonstopflug von den USA über den Atlantik nach Frankreich Weltbekanntheit erlangt. Der in den USA als Nationalheld gefeierte Lindbergh wurde in den 1940er Jahren ob seiner politischen Ansichten und Reden als Sympathisant der Nationalsozialisten und als Antisemit kritisiert, doch bereits zuvor erhielt sein Leben eine tragische Wendung. Sein zweijähriger Sohn wurde am 1. März 1932 entführt, Lösegeld wurde bezahlt. Am 12. Mai wurde das Kleinkind schließlich tot entdeckt.

Entführungswelle ab den 1960ern

Ein richtiger Verkaufserfolg wurden die neuen Entführungsversicherungen allerdings nicht. Erst in den 1960er Jahren nach einer Reihe aufsehenerregender Kidnappings von Geschäftsleuten und ihren Familien in Europa und Lateinamerika begannen Unternehmen derartige Versicherungen für hochrangige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bzw. auch deren Angehörige abzuschließen. Vor allem Terrororganisationen wie etwa die spanische ETA, die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland und die Roten Brigaden in Italien waren neben der Mafia in Europa für die Entführungen verantwortlich.

US-Militärschiff bei der Versorgung der Geiseln auf der MW Faina 2009
Die US-Navy stellt dem von Piraten nahe der Küste Somalias für vier Monate entführten Frachtschiff „Faina“ nach dessen Freigabe 2009 Treibstoff und Wasser zur Verfügung

Geheimklausel sollte Risiko minimieren

Diese Art von Entführungsversicherungen hatten einen großen Mangel, wie die „New York Review of Books“ schreibt. Vonseiten der Versicherer war in den Verhandlungsprozess niemand eingebunden. Die Versicherungen hatten somit damals eigentlich nur eine Aufgabe: das Lösegeld zurückzuerstatten.

Von den Versicherungskonzernen gab es allerdings mehrere Auflagen. So musste die Polizze geheim gehalten werden, um nicht das Risiko des Gekidnapptwerdens zu erhöhen. Befürchtet wurde auch, dass die Entführer, sollten sie um die Polizze wissen, mehr Lösegeld fordern würden, so der „Guardian“.

Verwandte mussten noch selbst verhandeln

Sollten Entführungen lukrativer werden, wurde auch befürchtet, dass die Zahl der Kidnappings ansteigt. Auch sollte damit vermieden werden, dass bereits einmal Entführte ob der hohen Lösegeldsumme ein weiteres Mal entführt würden. Ein weiteres Prinzip der Versicherungen: Lösegeld wird nicht vorgestreckt.

Die Nachteile für die Versicherten: Deren Verwandte bzw. die Angestellten der Unternehmen, in denen sie tätig waren, mussten in Zusammenarbeit mit der Polizei die Verhandlungen mit den Kidnappern bis hin zur Lösegeldübergabe verhandeln – und waren damit meist überfordert.

Professionalisierungsschub mit Vollservice

Eine Lösung dafür bahnte sich schließlich in den 70er Jahren an. Ein junger Versicherungsmakler, Julian Radcliff, hatte laut „New York Review of Books“ die zündende Idee: Eine auf Entführungsfälle spezialisierte Sicherheitsfirma musste her. Zuerst als Abteilung bei Lloyds, später als eigene Firma stellten Spezialisten von Control Risks das nötige Know-how zur Verfügung, um Entführungsfälle so gut wie möglich für die Opfer abzuwickeln. Die Experten rekrutierte man vor allem aus den Reihen von Militär und Polizei und setzte auf deren bisherige Erfahrungen.

Auch potenzielle Opfer werden überprüft

Und auch bei der Annahme der Kunden und Kundinnen griffen Änderungen. So wurden potenzielle Entführungsopfer geheim mit Einverständnis der künftigen Polizzenhalter gründlich überprüft und Vorschläge für Sicherheitsmaßnahmen gemacht. Wurden diese umgesetzt, etwa Sicherheitspersonal angestellt, die Häuser besser abgesichert und Ähnliches lockte die Versicherung mit Rabatten bei den Prämien.

Auch die Abwicklung im Entführungsfall wurde erneuert. Die Spezialisten berieten nun die Familien bzw. Arbeitgeber der Entführungsopfer. Denn diese mussten weiterhin mit den Kidnappern kommunizieren, sonst hätten die Entführer von der Versicherung Wind bekommen und ihre Forderungen raufschrauben können. War das Lösegeld fixiert, wurde es von den Profis übergeben und die Geisel im Idealfall gesund wieder übergeben.

Kurse für das richtige Verhalten als Neuerung

Konkurrenz erwuchs Control Risks schließlich aus den USA. Ein ehemaliger CIA-Agent, Mike Ackerman, startete sein eigenes Unternehmen – im Unterschied zu Control Risks, das ein größeres Personal hatte, machte er so gut wie alles selbst, wie die „New York Review of Books“ schreibt. Er verhandelte auch als vermeintlicher Familienangehöriger oder Boss des Opfers mit den Entführern und übergab das Lösegeld.

Milne schließlich, der Anfang der 1980er Jahre von Kolumbien aus sein Geschäft mit den Entführungspolizzen über ganz Lateinamerika ausweitete, ging nach London und baute mit seinem Know-how und zahlreichen Mitarbeitern mit Berufserfahrung bei Polizei und Militär auch einen Zweig in Europa auf. Seine Innovation: Er bot Kurse an, die das Risiko einer Entführung minimieren sollten bzw. auch lehrten, wie sich ein Opfer im Fall der Fälle gegenüber seinen Kidnappern richtig verhält.

75 Prozent der Fortune-500-Unternehmen versichert

Schließlich schaffte er es, dass die Versicherungen auch die Kosten für seine Kurse übernahmen, denn potenzielle Opfer wie auch die Versicherungen haben ein Interesse, die Wahrscheinlichkeit einer Entführung zu minimieren, wie der „Guardian“ schreibt. Laut der Zeitung haben 75 Prozent der Fortune-500-Unternehmen eine derartige Versicherung für gefährdete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Zwei Versicherer, Hiscox in Großbritannien und AIG in den USA, geben in der Branche derzeit den Ton an, heißt es weiter. Doch auch zahlreiche Sicherheitsfirmen haben sich auf Entführungsfälle spezialisiert.

Laut dem „Guardian“ ist Geiselverhandlung bereits so etwas wie eine Industrie geworden – Konferenzen, Kongresse und gemeinsame Strategien sowie Lobbyismus bei staatlichen Regelungen inklusive. Wichtig ist vor allem die Verschwiegenheit. Damit sollen die Lösegeldsummen so niedrig und das Geschäft für die Kriminellen so wenig lukrativ wie möglich werden, wie die „Washington Post“ schreibt. Als „Hotspots“ für Kidnappings gelten laut der Zeitung Nigeria, Mexiko, der Irak, Mali und Kolumbien.

Gute Überlebenschancen

Laut der Zeitung kann sich auch der Erfolg der Branche sehen lassen. 97 Prozent der Entführungen, in die professionelle Verhandler eingeschaltet sind, würden durch die Zahlung von Lösegeld erfolgreich gelöst. Einem kleinen Prozentsatz der Opfer gelinge die Flucht, nur wenige müssten in aufwendigen, hoch riskanten Operationen aus den Händen ihrer Entführer gerettet werden.

Weniger als ein Prozent der Opfer werde getötet, so der „Guardian“ unter Berufung auf Branchenzahlen. Nichtversicherte würden Geiselverhandler bis zu 2.000 Dollar pro Tag kosten, so die „New York Review of Books“. Die Umsätze der Branche schätzt das Magazin auf rund 250 bis 300 Millionen pro Jahr.

Links:


INSURANCE AND HOSTAGE NEGOTIATORS


The big business with kidnappings


Kidnappers are not the only ones hoping for big business in kidnappings; insurance companies and hostage negotiators are also making money from it. In the U.S. and the U.K. in particular, there is apparently a great demand for insurance in kidnapping cases. This does not only mean the guaranteed repayment of the ransom. And the conditions in the secret world of hostage negotiators are very strict.

Specialists now handle all crisis management after a kidnapping, from caring for relatives to negotiating with kidnappers, from assessing the right amount of ransom to cooperating with police, according to the science website The Conversation. Kidnapping experts sometimes operate in a gray area.

Different countries take different approaches to dealing with the kidnapping of their nationals, according to the British Guardian. The U.K., along with the U.S., has long been a proponent of the «no concessions» camp, officially refusing to negotiate with terrorists, pay ransoms or make other concessions. There are fears that paying ransoms increases the risk of future kidnappings. It also puts money into the hands of terrorist organizations that could be used to fund ongoing operations, the rationale goes.

East German police officers during a roadblock due to the kidnapping of poloitician Peter Lorenz.
AP/Kurt Strumpf
A roadblock in West Berlin in 1975 following the kidnapping of Peter Lorenz, regional chairman of the Berlin CDU, by the terrorist group Movement 2 June
In search of new customers in the drug war
The big business with kidnapping insurance began in 1982, as the «Guardian» writes. British insurance broker Doug Milne was looking for new clients; ideally, he also hoped to find a new line of business.

With little knowledge of Spanish and only two contacts, Milne set off for the Colombian capital Bogota and became an eyewitness to the beginning of the extremely bloody drug war between the cartels themselves and with the Colombian police and army. Kidnappings were more or less the order of the day in the sometimes almost warlike conflict.

Car convoy with the freed hostages Paul and Rachel Chandler in Somalia in 2010.
Reuters
A convoy takes hostages Paul and Rachel Chandler, released by Somali pirates after more than a year, to the airport in 2010
First ideas after Lindbergh kidnapping
While hijack insurance policies existed at the time, they were virtually unheard of. The first kidnap and ransom insurance policy was issued in 1932, according to the New York Review of Books. It was «invented» in the aftermath of the sensational Lindbergh kidnapping that kept the world press in suspense for months.

The pilot Charles Lindbergh had achieved world fame with the first non-stop flight from the USA across the Atlantic to France. Celebrated as a national hero in the U.S., Lindbergh was criticized in the 1940s for his political views and speeches as a sympathizer of the National Socialists and as an anti-Semite, but even before that his life took a tragic turn. His two-year-old son was kidnapped on March 1, 1932, and a ransom was paid. The toddler was finally discovered dead on May 12.

Wave of kidnappings from the 1960s
However, the new kidnapping insurance policies did not become a real sales success. It was not until the 1960s, after a series of sensational kidnappings of businessmen and their families in Europe and Latin America, that companies began to take out such insurance policies for high-ranking employees or their relatives. Terrorist organizations such as Spain’s ETA, the Red Army Faction (RAF) in Germany, and the Red Brigades in Italy were primarily responsible for the kidnappings, along with the Mafia in Europe.

U.S. military ship resupplying hostages on the MW Faina in 2009.
Reuters/U.S. Navy
The U.S. Navy provides fuel and water to the cargo ship «Faina,» hijacked by pirates near the coast of Somalia for four months after its release in 2009
Secret clause was meant to minimize risk
This type of hijack insurance had a major flaw, according to the New York Review of Books. No one on the insurers’ side was involved in the negotiation process. Thus, at the time, the insurance companies really had only one task: to repay the ransom.

However, the insurance companies imposed several conditions. For example, the policy had to be kept secret so as not to increase the risk of being kidnapped. It was also feared that if the kidnappers knew about the policy, they would demand more ransom, according to the Guardian.

Relatives still had to negotiate for themselves
If kidnappings became more lucrative, it was also feared that the number of kidnappings would increase. It was also hoped that this would prevent people who had already been kidnapped once from being kidnapped again because of the high ransom sum. Another principle of insurance: Ransoms are not advanced.

The disadvantages for the insured: Their relatives or the employees of the companies where they worked had to negotiate with the kidnappers in cooperation with the police until the ransom was handed over – and were usually overburdened with this.

Professionalization boost with full service
A solution to this finally emerged in the 1970s. According to the New York Review of Books, a young insurance broker, Julian Radcliff, had the brilliant idea of setting up a security company specializing in kidnapping cases. First as a department at Lloyds, later as a separate company, specialists from Control Risks provided the necessary know-how to handle kidnapping cases as well as possible for the victims. The experts were recruited primarily from the ranks of the military and police, drawing on their previous experience.

Potential victims are also screened
Changes were also made in the way clients were accepted. For example, potential kidnap victims were thoroughly screened in secret with the consent of their future police owners, and suggestions for security measures were made. If these were implemented, for example, security personnel were hired, the houses were better secured, and the like, the insurance company offered discounts on premiums.

The handling of kidnapping cases was also renewed. The specialists now advised the families or employers of the kidnap victims. The latter had to continue communicating with the kidnappers, otherwise the kidnappers would have gotten wind of the insurance company and could have raised their demands. Once the ransom was fixed, it was handed over by the professionals and, ideally, the hostage was returned in good health.

Courses for the right behavior as an innovation
Competition eventually emerged for Control Risks from the United States. A former CIA agent, Mike Ackerman, started his own business – unlike Control Risks, which had a larger staff, he did just about everything himself, according to the New York Review of Books. He also negotiated with kidnappers as the victim’s supposed family member or boss and handed over the ransom.

Finally, Milne, who expanded his kidnap-police business throughout Latin America from Colombia in the early 1980s, moved to London and, with his expertise and numerous associates with police and military experience, also established a branch in Europe. His innovation was to offer courses that would minimize the risk of kidnapping and also teach victims how to defend themselves to their police if the worst came to the worst.

75 percent of Fortune 500 companies insured
Eventually, he managed to get insurance companies to cover the cost of his courses as well, because potential victims as well as insurance companies have an interest in minimizing the likelihood of kidnapping, according to The Guardian. According to the newspaper, 75 percent of Fortune 500 companies have such insurance for employees at risk. Two insurers, Hiscox in the U.K. and AIG in the U.S., currently set the tone in the industry, it adds. But numerous security firms also specialize in kidnapping cases.

According to the Guardian, hostage negotiation has already become something of an industry – conferences, conventions and joint strategies, as well as lobbying with government regulations included. Above all, secrecy is important. This is intended to keep the ransom sums as low and the business as unprofitable as possible for the criminals, as the «Washington Post» writes. According to the newspaper, Nigeria, Mexico, Iraq, Mali and Colombia are considered «hotspots» for kidnappings.

Good chances of survival
According to the newspaper, the success of the industry can also be seen. Ninety-seven percent of kidnappings involving professional negotiators are successfully resolved through the payment of ransoms, it said. A small percentage of victims manage to escape, and only a few have to be rescued from the hands of their kidnappers in elaborate, high-risk operations.

Less than one percent of victims are killed, the Guardian said, citing industry figures. The uninsured cost hostage negotiators as much as $2,000 a day, the New York Review of Books said. The magazine estimates the industry’s revenue at around 250 million to 300 million a year.

Links:
«New York Review Of Books» article
«Guardian» article
«Washington Post» article
The Conversation article