Warnung vor „Chaos“ bei Gaszuteilung (German/English)

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WIFO-CHEF

Seit Längerem beschwert sich die Wirtschaft über mangelnde Infos, wie Gas im Falle eines Lieferstopps aus Russland sinnvoll verteilt wird. Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) würde sich dafür „brennend“ interessieren, sagte WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, zudem sei jetzt Zeit, entsprechende Pläne zu erstellen – sonst drohe im Herbst Chaos. Jede Krise berge aber auch Chancen, etwa in Sachen kalte Progression und der Anpassung von Sozialleistungen an die Teuerung.

Die Regierung müsse sich zügig vor dem Herbst überlegen, wie genau Gas im Ernstfall zugeteilt wird, so Felbermayr in der ORF-„Pressestunde“. Auch das WIFO wisse nicht wirklich Bescheid über Details, „wir könnten besser informiert sein“. Aus seiner Sicht sollen prioritäre Sektoren – zuerst und ohne Einschränkungen Haushalte, aber etwa auch der Stromsektor und die Lebensmittelproduktion – festgelegt werden. Innerhalb dieser Sektoren müsse dann weiter festgelegt werden, wie dort verteilt wird. Hier könnte etwa mit Auktionen vorgegangen werden, schlug Felbermayr vor.

„Wenn man glaubt, in der Hitze des Gefechtes die Verteilung demokratisch festzulegen, dann wird man sich wundern“, sagte Felbermayr. Man könne sich keine Verschwendung erlauben und sollte etwa auf die maximale Wertschöpfung achten. Wenn man das nicht rechtzeitig vorbereite, werde es ein „Hauen und Stechen“ um die Restgasmengen geben. „Wer soll denn dann abgedreht werden in welcher Branche?“ Es dürfe auch keine Rasenmähermethode angewendet werden, ein drohendes Chaos wäre für die heimische Volkswirtschaft schädlich, mahnte er mehrmals Vorbereitungen „jetzt“ ein.

Abhängigkeit der Energieversorgung von Russland

Gefragt nach dem EU-Gipfel am Montag, bei dem über neue Sanktionen gegen Moskau und ein mögliches Ölembargo verhandelt wird, sagte Felbermayr, ein solcher Stopp würde ebenfalls einen Dämpfer bringen – zum Teil indirekt. Denn der Diesel für Österreich komme aus Deutschland, das viel stärker abhängig sei, für Österreich sei die Frage, ob das Öl aus Kasachstan noch weiter fließen könne. Es brauche aber Lenkungseffekte, um die Märkte von russischer Energie wegzubringen. Eine Möglichkeit seien Zölle, diese würden auch gegen russische Dumpingpreise helfen, wenn auch nur für Neugeschäfte.

Inflation: Lage „absolut“ ernst

Das WIFO erhöhte für heuer die Inflationsprognose von 5,8 auf 6,5 Prozent – die Lage sei „absolut“ ernst, so Felbermayr danach gefragt. Die heimische Volkswirtschaft sei gar nicht auf derartige hohe Inflationsraten eingestellt. Aufgrund der hohen Inflation müsse nun „dringend“ darüber nachgedacht werden, Sozialleistungen anzupassen, auch unterjährig, sonst sei das System „nicht haltbar“. Überhaupt sprach sich der WIFO-Chef dafür aus, Sozialleistungen wie Familienbeihilfe, Mindestsicherung und Pflegegeld zu indexieren und automatisch an die Inflation anzupassen.

Ein dauerhafter Ausgleich sei ihm lieber, wenn das politisch nicht möglich sei, dann zumindest für die Dauer der Krise. Man werde nicht so schnell wieder zu niedrigen Inflationsraten zurückkehren. Mitbedacht müsse ein adäquater Preisindex werden, denn Menschen an der Armutsgrenze würden anders konsumieren als jene mit genug Geld. Eine Senkung der Mehrwertsteuer sehe das WIFO skeptisch, so der Ökonom, denn das wäre teuer und würde die Inflation nur verschieben – irgendwann müsse man die Steuer ja wieder anheben. Besser wären höhere Transfers und eine Aufdoppelung der bestehenden Pakete.

Situation der Inflation

„Heilige Kuh“ Erbschaftssteuer

Eine mögliche Gegenfinanzierung könne eine Erbschaftssteuer sein, die in Österreich als „heilige Kuh“ behandelt werde – aber auch hier müsse man schauen, dass es nicht zu Härten kommt und der Aufbau von Vermögen ausgebremst wird. Gegen eine Vermögenssteuer sprach sich Felbermayr dezidiert aus, auch wenn er sich dazu bekannte, dass man an „Tabus“ herangehen müsse. Man müsse sich ansehen, wie ein „vernünftiges Steuersystem“ aussieht und wie der Faktor Arbeit entlastet werden kann, und zwar für beide Seiten: Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Neuordnung der Arbeitslosenversicherung werde derzeit ohnehin vorbereitet.

In den Lohnnebenkosten seien viele Dinge enthalten, etwa die Familienförderung oder die Wohnbauförderung. „Ganz klar“ brauche es dafür eine Gegenfinanzierung, man müsse zwischen den Übeln wählen, aber der Staat müsse finanziert werden, und eine Absenkung sei besser, als wenn man „nix angreift“. Steuern seien immer eine Belastung, aber auch Mittel zur Lenkung.

Reformierung der Lohnnebenkosten

Aus für kalte Progression gefordert

Einmal mehr forderte Felbermayr ein Aus oder eine Senkung der kalten Progression. So könne der Finanzminister dabei helfen, dass die wohl schwierigen Tarifverhandlungen im Herbst leichter werden. Denn die Inflation sei nicht hausgemacht, durch die hohen Energiekosten würden Milliarden an Kaufkraft ins Ausland abfließen. Es wäre logisch, wenn die Ergebnisse der Gehaltsverhandlungen nicht sofort wieder von der Steuer aufgefressen würden. Er verwies auf das deutsche Modell, wo alle zwei Jahre evaluiert und dann wieder verteilt wird – damit hätte die Politik auch noch Gestaltungsmöglichkeiten.

Kalte Progression

Gefragt wurde der WIFO-Chef auch nach der „Schieflage“ auf dem Arbeitsmarkt, wo einige Branchen derzeit händeringend nach Arbeitskräften suchen würden. Er verwies auf eine weiterhin hohe Arbeitslosigkeit, auch bei den Langzeitarbeitslosen und Menschen über 55 und 60 Jahren. Er glaube, dass einige hunderttausend Arbeitskräfte schnell „aktivierbar“ wären, etwa durch ein Recht auf Kinderbetreuung. Der WIFO-Chef plädierte aber auch für mehr Investitionen in die Gesundheit und damit die Erhaltung der Arbeitskraft von Älteren.

Wettbewerb um Arbeitskräfte „schon längst“ da

Dann wäre auch eine weitere Flexibilisierung des Pensionsantrittsalters möglich, bei entsprechender Attraktivierung der Arbeit. In einigen Bereichen nehme die Überzahlung (über den Kollektivvertrag) schon zu, auch Arbeitszeitflexibilisierung und Homeoffice gehörten dazu. Die Arbeitgeber seien darüber vielleicht weniger erfreut, aber der Wettbewerb um Arbeitskräfte sei „schon längst“ da. Am Ende müssten Arbeitgeber ohne Arbeitnehmer ja auch zusperren.

Schieflage am Arbeitsmarkt

Es gebe aber auch ein demografisches Problem, derzeit gingen starke Kohorten in Pension und kleinere würden nachwachsen, es gebe mehr Bedarf in personalintensiven Bereichen, und in wenigen Jahren werde auch die Mobilisierung nicht ausreichen – dann müsse man auch über Zuwanderung reden, so Felbermayr. Die laufende Debatte über eine leichtere Erreichung der Staatsbürgerschaft sei mehr ein demokratiepolitisches Thema, insgesamt stelle sich aber schon die Frage, „wie sieht die Willkommenskultur in Österreich aus“. Man müsse den Standort Österreich attraktiv machen.

Krisen würden aber immer Chance bergen, so Felbermayr weiter. Der Druck, möglichst schnell aus fossiler Energie auszusteigen, könnte auch Wachstum bedeuten, etwa durch das verstärkte Dämmen von Gebäuden. Derzeit „zerbrösle“ jedenfalls die freiheitliche Wirtschaftsordnung, es bildeten sich mehr regionale Märkte. Das könne aber auch eine Chance sein, den Binnenmarkt in Europa zu vertiefen, zeigte sich der WIFO-Chef überzeugt – in Zukunft werde es Clubs statt umfassender Globalisierung geben. Eine globale Lösung etwa beim Klima wäre zwar besser, aber „besser Clubs, als gar nichts tun“.

Forderungen von SPÖ und FPÖ

Die SPÖ griff Felbermayrs lautes Nachdenken über eine Erbschaftssteuer auf, fordert sie eine solche Taxe doch stetig. „Mit einer fairen Abgabe auf Millionenerbschaften könnten wir die Krise für die Mehrheit der Bevölkerung abfedern“, so Finanzsprecher Jan Krainer in einer Aussendung. „98 Prozent der Erben wären von einer solchen Abgabe nicht betroffen, sie würden aber von Maßnahmen gegen die Teuerung profitieren.“ Der Oppositionspolitiker kritisierte die Regierung aus ÖVP und Grünen auch für eine „Plan- und Tatenlosigkeit“ in der Gasfrage.

FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte von ÖVP und Grünen ein Auftreten gegen das geplante EU-Ölembargo gegen Russland, um das es auch bei einem Sondergipfel am Montag geht. „Dass ein Öl-Embargo nur der erste Schritt in Richtung eines Gas-Embargos ist, liegt doch auf der Hand“, so der Freiheitliche in einer Aussendung am Sonntagabend. Neben einem „Ausstieg aus der Sanktionsspirale“ forderte er neben weiterer Entlastungen Steuersenkungen auf notwendige Lebensmittel, Energie und Treibstoffe.

Link:

WIFO CHIEF

Warning of «chaos» in gas allocation



For some time now, the business community has been complaining about a lack of information on how gas would be sensibly distributed in the event of a supply freeze from Russia. The Economic Research Institute (WIFO) would also be «burning» for this
, said WIFO head Gabriel Felbermayr, moreover, now is the time to draw up appropriate plans – otherwise there would be chaos in the fall. However, every crisis also offers opportunities, for example in the area of cold progression and the adjustment of social benefits to inflation.

The government must quickly consider before the fall, how exactly gas will be allocated in an emergency, said Felbermayr in the ORF «Pressestunde». He also said that WIFO does not really know about details, «we could be better informed.» From his point of view, priority sectors – first and without restrictions households, but also, for example, the electricity sector and food production – should be defined. Within these sectors, it would then be necessary to further determine how to distribute there. Auctions could be used here, for example, Felbermayr suggested.

«If you think you can democratically determine distribution in the heat of the moment, you’re in for a surprise,» Felbermayr said. He added that one cannot afford to be wasteful and should pay attention to maximum value creation, for example. If this is not prepared in time, there will be a «slugfest» over the residual gas volumes, he said. «Who should be turned off then in which industry?» Nor should a lawnmower approach be taken; imminent chaos would be harmful to the domestic economy, he urged several times Preparations «now.»

Asked about the EU summit on Monday, where new sanctions against Moscow and a possible oil embargo will be negotiated, Felbermayr said such a halt would also put a damper on things – partly indirectly. After all, diesel for Austria comes from Germany, which is much more dependent; for Austria, the question is whether oil from Kazakhstan can continue to flow. However, steering effects are needed to move the markets away from Russian energy. One possibility would be tariffs, these would also help against Russian dumping prices, even if only for new business.

Detail of OMV’s natural gas storage facility in Schönkirchen.
DEBATTE Russian gas: What are the alternatives?
Inflation: Situation «absolutely» serious
WIFO increased its inflation forecast for this year from 5.8 to 6.5 percent – the situation is «absolutely» serious, Felbermayr said when asked about it. The domestic economy is not at all prepared for such high inflation rates. Due to the high inflation, it is now necessary to «urgently» think about adjusting social benefits, also during the year, otherwise the system would be «unsustainable». In general, the WIFO boss advocated indexing social benefits such as family allowances, minimum benefits and care allowances and automatically adjusting them to inflation.

He would prefer a permanent adjustment, if that is not politically possible, then at least for the duration of the crisis. There will be no return to low inflation rates in the near future. An adequate price index must also be considered, because people on the poverty line consume differently than those with enough money. According to the economist, WIFO is skeptical about lowering the value-added tax, because this would be expensive and would only postpone inflation – at some point, the tax would have to be raised again. Better would be higher transfers and a doubling of the existing packages.

Gas stove with burning flames
MORE ON THE TOPICWIFO calls for austerity and contingency plans.
«Sacred cow» inheritance tax.
A possible counter-financing could be an inheritance tax, which is treated as a «sacred cow» in Austria – but here, too, one must see to it that there are no hardships and that the accumulation of wealth is slowed down. Felbermayr was firmly opposed to a wealth tax, even though he acknowledged that «taboos» had to be approached. He said it was necessary to look at what a «sensible tax system» looks like and how the labor factor can be relieved, for both sides: Employers and employees. The reorganization of unemployment insurance is currently being prepared anyway.

The non-wage labor costs include many things, such as family support or housing subsidies. «Clearly» there needs to be counter-financing for this, one has to choose between the evils, but the state has to be financed, and a reduction is better than «attacking nothing». Taxes are always a burden, but also a means of control.

Competition for labor «already» there
In that case, further flexibilization of the retirement age would also be possible, with a corresponding increase in the attractiveness of the work. In some areas, overpayment (above the collective agreement) is already on the rise, and flexible working hours and home office are also part of this. Employers may be less pleased about this, but the competition for workers has «already existed for a long time. In the end, employers without employees would have to close down.

But there is also a demographic problem, at present strong cohorts are retiring and smaller ones are growing up, there is more demand in personnel-intensive areas, and in a few years mobilization will also not be sufficient – then we will also have to talk about immigration, Felbermayr said. The ongoing debate about making it easier to obtain citizenship is more of a democratic policy issue, but overall the question is «what does the welcoming culture in Austria look like? Austria must be made attractive as a business location.

However, crises always hold opportunities, Felbermayr continued. The pressure to get out of fossil energy as quickly as possible could also mean growth, for example through increased insulation of buildings. At any rate, the liberal economic order is currently «crumbling,» with more regional markets forming. But this could also be an opportunity to deepen the single market in Europe, the WIFO boss was convinced – in the future, there would be clubs instead of comprehensive globalization. A global solution, for example in the area of climate, would be better, but «better clubs than doing nothing at all».

Demands of SPÖ and FPÖ
The SPÖ picked up on Felbermayr’s loud thoughts about an inheritance tax, as it has been constantly calling for such a tax. «With a fair tax on inheritances worth millions, we could cushion the crisis for the majority of the population,» finance spokesman Jan Krainer said in a statement. «98 percent of heirs would not be affected by such a levy, but they would benefit from measures against inflation.» The opposition politician also criticized the government of the ÖVP and the Greens for a «lack of plan and action» on the gas issue.

FPÖ leader Herbert Kickl demanded that the ÖVP and the Greens take a stand against the planned EU oil embargo against Russia, which is also the subject of a special summit on Monday. «That an oil embargo is only the first step towards a gas embargo is obvious,» the Freedom Party leader said in a statement on Sunday evening. In addition to an «exit from the spiral of sanctions,» he called for tax cuts on necessary food, energy and fuel, in addition to further relief.

Nadja Igler, ORF.at/agencies

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WIFO